Während wir Renu interviewen, erhält sie einen Anruf. Es ist ein Mädchen aus einem kleinen Bauerndorf Nordindiens. Sie wurde von einem verheirateten Mann vergewaltigt. Das Mädchen vertraute sich ihrer Mutter an. Oft aber glauben die Mütter ihren Töchtern nicht oder stehen unter so hohem sozialem Druck, dass ihnen die Hände gebunden sind.
Die Mutter besprach sich mit dem Dorfpriester, worauf sie sich für ein Reinigungsritual und einen Wahrheitstest entschieden, der am nächsten Tag stattfinden sollte. Der Wahrheitstest besteht darin, dass das Mädchen einen heissen Eisenstab anfassen muss! Wenn sich die junge Frau verbrennt, hat sie gelogen!
Dem Mädchen ist bewusst, dass dieser Test Unsinn ist. Renu klärt das Mädchen über ihre Rechte auf, das Dorf liegt zu weit weg, um sie da sofort rauszuholen. Sie gibt ihr Anweisungen zur Flucht und erklärt ihr alle Massnahmen, die sie treffen muss.
Wichtig ist, dass dieses Mädchen die staatliche Sanität ruft, sobald sie auf die Hauptstrasse gelangt. Jeder nicht-staatliche Transport, wie zum Beispiel ein Taxi, wäre eine zu grosse Gefahr für sie. Ist ein Mädchen eigenständig auf der Flucht, ist die Gefahr, Opfer eines weiteren Missbrauchs zu werden, sehr gross! Ein staatliches Krankenhaus gilt grundsätzlich sicherer, weil es unter einer strengeren Beobachtung steht. Dort müssen sich die misshandelten Mädchen ärztlich untersuchen lassen, weil damit bewiesen werden kann, dass sie sexuell missbraucht wurden.
Renu sagt, dass jede Frau diesen Test machen sollte. Die meisten Frauen wissen das leider oft nicht oder haben grosse Angst, diesen Schritt zu wagen.
Samadhan ist innovativ und modern aufgebaut.
Es ein Kriseninterventionscenter mit einer 24h Helpline, welche Frauen in Gefahr telefonische Sofortberatung leistet.
Gleichzeitig können im heutigen Haus bis zu 50 Frauen aufgenommen werden. Samadhan bietet hier ein fünfjähriges Ausbildungsprogramm an. Es geht um das sogenannte Empowerment auf jeder Ebene: Einzel- und Gruppentherapien zwecks Rehabilitation der Traumas, Ausbildung der Frauen nach ihren individuellen Neigungen und Interessen sowie die Ermöglichung einer eigenständiger Berufsausübung und Gestaltung eines neuen Alltagslebens.
Mit Öffentlichkeitsarbeit von Renu in Radio- und Fernsehprogrammen werden Frauen in der Region über den einmaligen Ausweg, den Samadhan bietet, informiert.
In den awarness-camps werden auch viele Frauen erreicht, die bisher noch nie von Samadhan gehört haben.
Gleichzeitig wird über diese Camps deutlich, dass wir ein grösseres stationäres Frauenzentrum brauchen, um für jene Frauen effektive Soforthilfe leisten zu können, die aufgrund ihrer Not weit mehr als eine Rechtsberatung brauchen.
Samadhan hat viele Feinde. Vergewaltiger der geretteten Frauen geben alles, um Samadhan zu schaden oder Renu irgendwas anzuhaften, damit sie hinter Gitter kommt.
Dies sind Menschen auf Kaderebene, die in Frauenhandel involviert sind und nicht wollen, dass Mädchen, von Samadhan gerettet werden. Vielmehr wollen sie die Mädchen ins Ausland oder indische Bordelle verkaufen. Die Liste der Feinde, die aus den letzten 35 Jahren Arbeit für die Frauen entstanden ist, ist lang.
Dementsprechend gleicht das Haus, in dem die Frauen aufgenommen werden, einer Hochburg, geschützt durch mannshohe Mauern und der Blick ins Haus wird mittels Milchfenster und Vorhängen verhindert. Schon oft wurden Renu oder die Mädchen Opfer eines Angriffes.
Als das Haus gebaut wurde, war die Umgebung von Wiesen geprägt und die Frauen konnten ohne Bedenken ums Haus herum ins Grüne. Inzwischen wurde in Dehradun kräftig gebaut. Das Samadhan Center ist umringt von Neubauten, was sie angreifbar macht. Seit einiger Zeit verstecken sich Männer in einem der Nachbarhäuser. Von hier werden sie beobachtet, gefilmt und einmal bei Verlassen des Hauses gar mit Säure attackiert. Glücklicherweise missfiel der Anschlag, weil eine der Frauen reflexartig den Regenschirm als Schutz vor sich und die anderen hielt und so die Säure abwehren konnte. Dennoch wurde dabei ein Fuss und ein Bein einer der Frauen verbrannt.
Samadhan entlässt die Frauen nach dem Empowerment und nach Abschluss ihrer Ausbildung in ihr neues Leben, ohne irgendwelche Ansprüche zu stellen. Die Frauen müssen einzig das Versprechen abgeben, dass sie weiteren Frauen helfen werden. Es ist wesentlich, dass sie ihre Verbindung zu Samadhan abbrechen, um nicht den Feinden von Samadhan ausgesetzt zu sein.
Auch hier wird die Notwendigkeit eines neuen Frauenzentrums mit mehr Umschwung und grösserer Sicherheit offensichtlich.
Die Nachfrage nach den Dienstleistungen von Samadhan steigt stetig, da durch die Aufklärungen in ländlichen Gegenden mit dem mobilen Bus (Awarness-Camp, Oeffentlichkeitsarbeit) immer mehr Frauen erreicht werden.
Uns wird daher bewusst, dass wir sehr effektive Hilfe für Indiens Frauen leisten können, wenn wir:
Ein Frauenunterstützungszentrum in Dehradun (im Norden Indiens) errichten, das bis zu 300 Frauen in Notsituationen infolge häuslicher Gewalt und Vergewaltigungen Schutz bieten kann.